Eine zeichnerische Recherche zu Sexarbeit in Zürich

Alessia Conidi, Martina Baldinger, Angela Wittwer
mit Gastbeiträgen von Grisélidis Réal, La Sposa, Kunst- und Kreativitätskurs Isla Victoria

Finissage und Release der Künstlerinnenpublikation
Samstag, 20. September 2014, 12 – 16 Uhr

Les Complices* freuen sich sehr, zur Eröffnung der Ausstellung Eine zeichnerische Recherche zu Sexarbeit in Zürich von Alessia Conidi, Martina Baldinger und Angela Wittwer einzuladen. Die Ausstellung eröffnet eine zweimonatige Reihe (siehe Infos am Ende dieser Seite), in der sich Les Complices* erneut mit Sexarbeit auseinandersetzen.

Alessia Conidi und Martina Baldinger führen mit Eine zeichnerische Recherche zu Sexarbeit in Zürich eine vergleichbare Arbeit, die sie im Kanton Solothurn für den Verein Lysistrada begonnen hatten, gemeinsam mit Angela Wittwer weiter. Die Ausstellung ist sowohl ein Versuch der Annäherung an Sexarbeit in Zürich durch das Medium der Zeichnung, wie auch eine Untersuchung der Darstellungsmöglichkeiten und Grenzen der Repräsentation in Bezug auf diese.

Mit der per 1. Januar 2013 in Kraft getretenen Prostitutionsgewerbeverordnung der Stadt Zürich hat der Kreis 4, in dem sich auch Les Complices* befinden, eine zunehmende Reglementierung, Verdrängung und Unsichtbarmachung von Sexarbeit erfahren. Die Anwerbung von Sexkonsumierenden im öffentlichen Raum ist verboten, der Strassenstrich fast gänzlich aufgehoben und mit dem Strichplatz am Depotweg in die städtische Peripherie verschoben. Die Sexarbeit im Quartier findet hauptsächlich in Etablissements mit Bewilligung für eine „sexgewerbliche Nutzung“ statt. Während Sexarbeit aufgrund von behördlicher Verordnungen zunehmend unsichtbar werden soll, erfordert die Ausübung ihrer Tätigkeit, dass sich Sexarbeiter_innen – etwa mithilfe von Kleidung, Make-up, Gestik oder Auftreten – eindeutig markieren. Diese Markierungen am und mit dem eigenen Körper, die sich wiederum aus gesellschaftlich geteilten Vorstellungen von Sexarbeit speisen, sind oftmals die einzigen Hinweise auf eine Tätigkeit als Sexarbeiter_in. Die Spannung, die sich aus behördlich verordneter Unsichtbarkeit, den stereotypen Bildern von Sexarbeit in den Medien und den (Selbst-)Darstellungen von Sexarbeiter_innen ergibt, wirft grundsätzliche Fragen nach der Darstellung und Darstellbarkeit von Sexarbeit auf.

Eine zeichnerische Recherche zu Sexarbeit in Zürich sucht nach Darstellungen, die einerseits zirkulierende Codes und Markierungen aufgreifen, aber auch Diskontinuitäten produzieren und Sexarbeit in einen gesellschaftlichen Kontext stellen, der eine Isolierung und Stigmatisierung von Sexarbeit verhindert. Wird Sexarbeit als affektive Arbeit und affektive Arbeit wiederum als Bestandteil jeglicher Erwerbsarbeit begriffen, so sind auch Nicht-Sexarbeiter_innen verstrickt in die Darstellungsweisen von käuflichem Sex.

Die in der Ausstellung enthaltenen Zeichnungen und Notizen entstanden in den Wochen vor der Eröffnung. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, zeichneten die Künstlerinnen auf kleinformatigen Notizblöcken. Neben Notizen finden sich darin Beobachtungen, auschnitthafte Räume und angedeutete Figuren. Die oft fragmentarischen Zeichnungen thematisieren die Konstruktion der Darstellung, indem sie Unabgeschlossenheiten und Leerstellen mit einschliessen.

Die Ausstellung entstand im Austausch mit unterschiedlichen Personen, Texten und Gesprächen – einige davon wiederkehrende Gesprächspartner_innen, andere flüchtige oder fortwährende Bekanntschaften aus Bars, Büchern oder Archiven. In diesem Sinne finden sich in der Ausstellung auch einige „Gastbeiträge“, etwa von der 2005 in Genf verstorbenen Sexarbeiterin, Autorin, Künstlerin und Aktivistin Grisélidis Réal, deren Nachlass sich heute im Schweizerischen Literaturarchiv befindet, oder La Sposa, Leiterin und Initiatorin des Kunst- und Kreativitätskurs von Isla Victoria, der Anlauf- und Beratungsstelle für Sexarbeitende im Kreis 4.

Entsprechend der Denkfigur einer Werkstatt, nimmt die räumliche Umsetzung als „bewegliche“ Ausstellung die fortlaufende Dauer dieser Recherche durch das Medium der Zeichnung und der Notiz auf. Eine Sammlung von Publikationen ergänzt die Ausstellung und wird über die Dauer der zwei Monate bei Les Complices* einsehbar bleiben.

Im Verlauf der Ausstellung entsteht eine Künstler_innenpublikation mit einer Auswahl von Zeichnungen und Notizen.


Text: Andrea Thal und Angela Wittwer


Mit herzlichem Dank an:
Lea Bösiger, Sandra Vasquez, Isla Victoria; La Sposa; den Teilnehmer_innen des Kunst- und Kreativitätskurs Isla Victoria; Igor Schimek; Denis Bussard, Schweizerisches Literaturarchiv; Melanie Munoz, Andrea Baldinger, Verein Lysistrada; Flora Dora; Cecile Weibel; Tim Zulauf; Schreinerei Sartori.


Zur Reihe:

Infos 
zur Reihe:

Die Ausstellung Eine zeichnerische Recherche zu Sexarbeit in Zürich ist Teil einer zweimonatige Reihe, in der sich Les Complices* erneut mit Sexarbeit auseinandersetzen. Neben der Ausstellung schliesst die Reihe das Screening Super Puta Pradastern, Fuck europe, I am here to stay! von Super Puta / maiz, eine Lesung des von Melissa Gira Grants soeben auf Deutsch erschienenen Buchs Hure spielen: Die Arbeit der Sexarbeit, eine Filmlektüre und Diskussionen zu feministischen Positionen gegenüber Sexarbeit anhand des Films Kate Millett parle de la prostitution avec des féministes (1975) und ein Gespräch zu den Möglichkeiten der Bildung von Netzwerken gegen die Stigmatisierung von nicht-konformen Arbeitsformen, sowie die Wiederaufnahme der Installativen Dramatisierung Striche durch Rechnungen von Tim Zulauf / KMUProduktionen mit ein.
Die Reihe positioniert sich gegen aktuelle Tendenzen der zunehmenden Stigmatisierung und Kriminalisierung von Sexarbeit und Sexarbeiter_innen in Zürich und in Europa.

_Eine zeichnerische Recherche zu Sexarbeit in Zürich_, Alessia Conidi, Martina Baldinger, Angela Wittwer, 2014

Eine zeichnerische Recherche zu Sexarbeit in Zürich, Alessia Conidi, Martina Baldinger, Angela Wittwer, 2014