11.06.2014
ab 18 Uhr
05.07.2014
Do, Fr:
14 – 18 Uhr
Sa:
12 – 16 Uhr
Ausstellung
 
 
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From Thousands of Possibilities

Maria Iorio / Raphaël Cuomo

Link: Veranstaltung in Zusammenhang mit der Ausstellung, Samstag, 14. Juni 2014

From thousands of possibilities führt Maria Iorio / Raphaël Cuomos Recherchen zu den verflochtenen Geschichten von Migration, Urbanisierung und dem italienischen Kino mit einem spezifischeren Fokus auf die informellen öffentlichen Flächen des metropolitanen Raums fort. Daraus ergab sich auch eine Untersuchung des Übergangs zwischen Experimentalfilm und dem militanten Kino der frühen 1970er Jahre im Zusammenhang mit den Aktivitäten von Unitelefilm, einer audiovisuellen Struktur deren Filme gegenwärtig im Archivio del movimento operaio e democratico in Rom aufbewahrt werden. Unitelefilm sammelte und konservierte die offizielle Propaganda der Italienischen Kommunistischen Partei und begann ab 1964 eine eigenständige Filmproduktion. Die daraus resultierende mehrteilige Installation From thousands of possibilities bringt einen Video, eine Diaprojektion mit versatzstückhaften Sequenzen aus Kinoklassikern der italienischen Nachkriegszeit so wie Displays mit einer Auswahl von Büchern und Magazinen, historischen Quellen und Recherchematerialien die zum Mitlesen einladen und erlauben den eigentlichen Arbeitsprozess nachzuzeichnen zusammen.

Überresten der behelfsmässigen Behausungen die nach dem Zweiten Weltkrieg entlang dem Felice Akuädukt im Mandrione-Quartier von Rom entstanden sind heute noch sichtbar. Damals inspirierten diese barracolis (Shantytowns) die neorealistisch geprägte Kultur – wenngleich kritische Kommentatoren wie Pier Paolo Pasolini bemerkten, der Neorealismus sei mit dem Versuch diese Armut darzustellen am Punkt der Kriese angelangt. Die Shantytowns, die sich an der Peripherie der grösseren italienischen Städte im industriellen Norden und in Rom durch die interne Migration rasant vergrösserten, wurden zum Motiv von Filmen und anderen kulturellen Produktionen, darunter auch “dokumentarischen” Erkundigungen die die vorgefundenen Realitäten oft für politische Motive instrumentalisierten oder zur Essentialisierung des Charakters der Bewohner_innen als primitiv, widersprüchlich und unveränderbar benutzten. Entgegen dieser Klischees wurden die Bewohner_innen der informellen Behausungen Ende der 1960er Jahre zu Protagonist_innen urbaner Kämpfe und entwickelten Formen der kollektiven Organisation und der direkten Aktion.

Mit Blick zurück auf eine kaum bekannte Episode dieser Kämpfe widmet sich From thousands of possibilities einem Filmdokument aus dem Archivio del movimento operaio e democratico in Rom. Das unbearbeitete Filmmaterial zeigt die Besetzung eines Hauses und einer Strasse im Zentrum von Rom durch eine Gruppe von baraccati (Bewohner_innen der informellen Behausungen) im November 1970. Die Geste einer Besetzerin, einer jungen Frau, die ihr Gesicht vor der Kamera versteckt, wurde zum Ausgangspunkt der Recherchen von Maria Iorio / Raphaël Cuomo. Sie unternehmen den Versuch einer Rekonstruktion dieser vergangenen Ereignisse ebenso wie das hervorbringen der gegenwärtigen materiellen Bedingungen die diese Rekonstruktion möglich machen.

Angefangen im Cinema America, einem ehemaligen Kinosaal der derzeit besetzt ist, evoziert der Video die Transformationen und Kämpfe, die den metropolitanen Raum formten und zeichnet unterschiedliche physische Verschiebungen zwischen dem Zentrum und den Peripherien nach. Diese reichen von der Ausgrenzung der Unterschichten aus dem Stadtzentrum während dem Faschismus, den in den 1020er Jahren vom Regime eingeleiteten sventramenti* oder den Expeditionen einer mobile Oberschicht, insbesondere Journalist_innen und Intellektuellen, die über die Situationen denen sie in den entlegenen Peripherien begegneten berichten. Somit kommentiert From thousands of possibilities eine Reihe von “looking relations” – Blickrelationen – die auch eintreten wenn die baraccati die Bewegung umkehren und im Stadtzentrum sichtbar werden und für Selbstbestimmung kämpfen.

*wörtlich, „ausweiden“: der Abriss von Häusern der Unterschichten, Ausgrabung von Ruinen des antiken imperialen Roms und die Konstruktion von grossen Plätzen und Alleen geeignet für Massendemonstrationen und Paraden im Zentrum von Rom.


Mit Dank an: Archivio del movimento operaio e democratico (Roma), Valeria Cardea, Cinema America Occupato (Roma), Donatello Della Peppa, Aura Ghezzi, Federico Giacinti, Maria Jacini, Claudio Olivieri, Anna Lajolo, Annamaria Licciardello, Guido Lombardi, Francesco Macarone Palmieri aka WARBEAR, MediaLab-HKB, Mathias Montavon, Giacomo Ravesi, Revok, Luca Ricciardi, Marc-Olivier Schatz, Self Made Urbanism Rome, Amrit Paolo Srivastava


Der Film From thousands of possibilities wurde unterstützt von République et Canton de Genève, République et Canton du Jura.
Die Ausstellung und Veranstaltung werden unterstützt von der Erna und Curt Burgauer Stiftung.

Still from _From thousands of possibilities_, Maria Iorio / Raphaël Cuomo, 2013 / 2014

Still from From thousands of possibilities, Maria Iorio / Raphaël Cuomo, 2013 / 2014