17.06.2009
18.07.2009
Ausstellung
 
 

Neither Fish Nor Fowl

Uriel Orlow

Vor der Sommerpause zeigt Les Complices* mit Uriel Orlow eine Ausstellung, in welcher der Künstler den herkömmlichen Produktionsrhythmus mit einer Untersuchung seiner Praxis zu unterbrechen sucht. 

Eine Reihe zusammenhängender Fragestellungen stehen am Anfang dieser Untersuchung künstlerischer Praxis und ihrer weiteren Zusammenhänge: Wo ist das Werk zu lokalisieren und wie lässt sich der Übergang von Recherche zum Werk verhandeln? Wie entstehen Entscheidungen darüber, was mit einbezogen und was ausgelassen wird? Wie können diese "Reste", diese Überschüsse des Arbeitsprozesses aufgegriffen, verworfenes Material neu gewichtet und nicht eingeschlagenen Pfade neu ausgelotet werden? Schlüsselelement dieser prozessorientierten Angehensweise ist eine materielle und sensorische Befragung, die unterschiedliche Bildregime, Narrations- und Dokumentationsmodi einander gegenübergestellt. 

Die Ausstellung setzt heterogene Elemente in einer Konstellation als räumliche Montage - ohne den Anspruch auf ein Ganzes oder eine Übersicht - in Verbindung. Diese modulare Methode unterstreicht fragmentarische Assoziationsketten und Konfigurationen und umreisst einen Schwebezustand zwischen Werk und Werkstatt, zwischen Rohmaterial und Klassifikation, zwischen Dokument und Imagination. 

Gezeigt wird eine Anordnung von drei Tischen mit ausgebreitetem Bildmaterial und einem Wandtext. Die unterschiedlichen in der Ausstellung enthaltenen Elemente stammen aus dem Materialarchiv von zwei Projekten und bezeichnen deren spezifische inhaltliche und historisch-geografische Zonen: Flat Earth (2004-9) thematisiert die letzte dramatische, sich am Polarkreis in Lappland abspielende Episode in der Geschichte der Geodäsie während The Benin Project (2006-9) sich mit den gestohlenen Kultobjekten aus dem Königreich Benin auseinandersetzt. In beiden Projekten konstituieren Reisen die Forschungs- und Produktionsbasis der Werke. Die Reisen in den Norden und Süden bewegen sich auf den Spuren historischer Expeditionen, bei denen wissenschaftliche und/oder koloniale Akquisition im Vordergrund stand. Die Ausstellung möchte verschiedenen Fragestellungen in Bezug auf Akquisitionen im Rahmen des künstlerischen Prozesses und in einem globalen/postkolonialen Zeitalter nachgehen: der verinnerlichte koloniale Blick auf sich selbst, das ethnographische Vermächtnis und die Exotik des Anderen.  

Trotz der in vieler Hinsicht bedeutenden und nachwirkenden Expeditionen nach Nigeria und an den Polarkreis werden diese Orte nicht mehr als geschichtsträchtige Lokale verstanden, sondern sind eher periphere, unbekannte, imaginär oder exotisch bleibende historische Nebenschauplätze, deren Geschichte in den Wissenschafts- und Kulturtempel Europas ihre eigentlichen Bühnen gefunden hat. In der Ausstellung wird das Beziehungs- respektive Spannungsfeld zwischen diesen beiden Örtlichkeiten ausgelotet. Die beiden Videoarbeiten im kleineren Raum dokumentieren Besuche zweier Paläste: der Louvre in Paris, in den nach dem Auszug der Königsfamilie die Académie einzog und den im 12. Jahrhundert erbauten und noch immer bewohnten Ogiamens Palast in Benin City. Zwei weitere Videos zeigen die Vor- und Nachbereitungen von Konferenzen in den von Büsten der Académiciens gesäumten Sälen des heutigen Institut Français, respektive ein jährlich ausserhalb von Benin City stattfindendes Häuptlingsritual. Die Videos versuchen Orte nicht als statische Gegebenheiten zu verstehen, sondern ihrem durch alltägliche Praxis konstituierten prozesshaften Charakter nachzugehen. Die Auseinandersetzung damit wie ein Ort funktioniert und verstanden werden kann - und nicht nur was er ist und repräsentiert - öffnet eine ethische Dimension die auch Fragen nach Solidarität und Verantwortung von Seiten des Künstlers und der Betrachter_innen gegenüber dem Gesehenen und Gezeigten beinhaltet. 

Im Verlauf der Ausstellung entsteht in Zusammenarbeit mit eingeladenen Kulturschaffenden und edition fink eine Publikation in Zeitungsformat.

Links: www.urielorlow.net